6. Mai 2016

Rezension | Arthur Schnitzler – Fräulein Else

Fräulein Else
Arthur Schnitzler

Fräulein Else ist eine Novelle, deren Erstausgabe 1924 erschien. Der Autor ist Arthur Schnitzler, ein (besonders bei Deutschlehrern) bekannter österreichischer Autor. Schnitzler schrieb unter anderem die bekannte Novelle Leutnant Gustl. 



Zum Inhalt
Else, die Tochter eines Rechtsanwalts aus Wien, befindet sich gerade auf einem Urlaub in Italien, als sie dringende Post von ihrer Mutter erhält. Die Mutter berichtet ihr, dass der Vater eine schwere Straftat begangen hat, nämlich Mündelgelder zu veruntreuen. Von Else wird nun verlangt die nötigen 30.000 Gulden, die ihren Vater vor dem Gefängnis retten können, von dem reichen Kunsthändler Dorsday zu erbitten. Als Else schließlich mit Dorsday redet, willigt er ein, ihr das Geld zu geben. Jedoch knüpft er die Bedingung, Else nackt sehen zu dürfen, an den Erhalt des Geldes. Else befindet sich nun in einer verhängnisvollen Lage: Geht sie auf den Handel ein, verliert sie ihre Ehre. Andererseits verlieren sie und ihre Familie alles, wenn sie es nicht tut.  

Das Fräulein Else ist ein eindrückliches Beispiel für das Beziehungsgeflecht, das uns mit anderen verbindet, aber uns auch genauso einschränkt. Else schwankt zwischen der Verpflichtung ihrer Familie gegenüber und dem Wunsch, ihr Leben selbst zu bestimmen.
Heute würden sich wahrscheinlich viele denken, dass da ja nicht viel dabei sei bzw. dass sie sich ja einfach weigern könnte. Aber man muss auch bedenken, dass Frauen bis vor ein paar Jahrzehnten noch viel stärker von Männern abhängig waren als sie es heute sind. Vor fünfzig oder hundert Jahren konnten Frauen noch nicht bestimmen, wie sie leben wollten, da sie schlicht und ergreifend ohne Vater oder Ehemann keinen Lebensunterhalt hatten. Nicht jede Frau durfte arbeiten und viele haben für ihre geleistete Arbeit nichts oder nur sehr wenig verdient. So ist es nicht verwunderlich, dass Else angesichts ihrer Situation verzweifelt. Denn die ganze Sache kann für sie nur schlecht ausgehen. Beide Wege münden in die Krise. Und sie trägt nicht einmal selbst die Schuld daran, denn ihre Situation ist ausweglos, weil zwei Männer, der Vater und Dorsday, versagen und sie für ihre Zwecke missbrauchen.




Achtung: Spoiler 
Der nachfolgende Teil ist für alle, die das Buch schon gelesen haben. 

Bei der Lektüre stellte sich mir die Frage, wie manche Leser auf die angedeutete sexuelle Spannung, in der sich das junge Mädchen befindet, reagieren. Denn beim Lesen hatte ich schon das Gefühl, dass sie geheime sexuelle Phantasien hegt, diese aber nicht auslebt. Elses Innenleben ist gefüllt mit Verlangen und Begierde, was sich zum Schluss in ihrem Wahn entlädt. Daher denke ich, dass sie sich scheut, Dorsday seinen Wunsch zu erfüllen, weil sie ihn als Person abstoßend findet, nicht aber weil sie sich nicht einem Mann nackt präsentieren würde. Würde sie dies tun, hätte sie es nicht zu hundert Prozent aus eigenen Stücken gemacht, sondern weil ihr Vater es indirekt von ihr verlangt. Hier kommt der Wunsch, sein Leben selbst zu bestimmen, zum Ausdruck. Die Männer zwingen es ihr auf, daher kann sie sich nicht aus freien Stücken dazu entscheiden. Hätte sie ein anderer nicht des Geldes wegen darum gebeten, hätte sie sich vielleicht dazu entschieden. Frauen sollten sich ohne Zwang sexuell ausleben dürfen. Zeigt eine Frau aber nach außen hin, dass sie gewisse Phantasien hat, wird sie leicht als Schlampe oder Flittchen bezeichnet und manche Menschen dichten ihr dann sogar an, dass sie es doch mit jedem tun würde. Auf diesem Gebiet hat die Emanzipation noch keine großen Früchte getragen, da sexuell offene Frauen häufig als Freiwild bzw. schmutzig gelten, sexuell offene Männer dagegen als wundervolle Verführer mit viel Erfahrung.  

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